“Wer löst diese ADFGVX-Verschlüsselung?”, fragte ich im Dezember 2014. Norbert Biermann aus Berlin hat das Kryptogramm aus dem Ersten Weltkrieg nun geknackt.
Im März 1918 herrschte bei der französischen Funkaufklärung helle Aufregung. Die Funksprüche der Deutschen, die sie abhörten, enthielten nur noch die Buchstaben A, D, F, G und X. Offensichtlich nutzten die Deutschen ein neues Verschlüsselungsverfahren. Die Franzosen nannten es ADFGX.
Die Franzosen hatten damals einen exzellenten Codeknacker namens Georges Painvin in Ihren Reihen, und dieser konnte nicht nur innerhalb von einigen Wochen nachvollziehen, wie das ADFGX-Verfahren funktionierte, sondern fand auch eine Dechiffrier-Methode.
Im ADFGX-Verfahren stehen jeweils zwei Geheimtext-Buchstaben für einen Klartext-Buchstaben. Wie man sich leicht klarmacht, kann man mit Paaren bestehend aus A, D, F, G und X insgesamt 25 Buchstaben kodieren. Später nahmen die Deutschen noch das V dazu, wodurch das (ansonsten gleich funktionierende) ADFGVX-Verfahren entstand. Eine Beschreibung der beiden Methoden und ihrer Geschichte findet sich bei Wikipedia oder in meinem Buch Codeknacker gegen Codemacher (3. Ausgabe).
Eine Original-Nachricht aus dem Ersten Weltkrieg
Ähnlich wie bei anderen Verschlüsselungsverfahren des Ersten und Zweiten Weltkriegs sind auch bei ADFGX und ADFGVX nur sehr wenige bis gar keine Original-Funksprüche bekannt. Immerhin einen konnte ich ausfindig machen: Im Buch Codes and Ciphers von Peter Way aus dem Jahr 1977 ist ein ADFGVX-Telegramm abgebildet. Hier ist es:
Zunächst konnte niemand dieses Kryptogramm knacken. Auch George Lasry, der eine Lösungsstrategie für ADFGVX entwickelt hat, musste passen, da der Text zu kurz dafür ist.
Zu meiner großen Überraschung erhielt ich vor ein paar Tagen dann doch die Lösung: Norbert Biermann aus Berlin hatte den zugehörigen Klartext ermittelt. Leider ist dieser nicht ganz so spektakulär. Erlautet:
GRUPPE X LAGE UNVERANDERT 6 X B X R X D
6 X B X R X D X steht laut Blog-Leser Max Baertl für die 6. Bayrische Reserve Division, die im Ersten Weltkrieg an der Westfront kämpfte.
Ich kann nur sagen: Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch zu dieser tollen Leistung!
Der Weg zur Lösung
Doch wie ist Norbert Biermann auf die Lösung gekommen? Ich habe ihn angemailt, und er hat mir dankenswerterweise einen ausführlichen Bericht geschickt.
Zunächst einmal hat Norbert Biermann versucht, möglichst viele Hintergrundinformationen zu sammeln. Er machte sich über das ADFGVX-System schlau und besorgte sich ein Exemplar von Peter Ways Buch. Auf der Abbildung in Letzterem ist nicht nur das obige Telegramm zu sehen, sondern auch ein Notiz- bzw. Arbeitsbuch mit weiteren (unvollständigen) ADFGVX-Nachrichten, das Georges Painvin gehörte. Folgende Dinge fielen Norbert Biermann auf:
- Oben auf der aufgeschlagenen Seite des Arbeitsbuches steht “Groupes de 6 lettres. 1 Juin 1918″. Dies könnte bedeuten, dass das Telegramm von diesem Tag stammt. Dies wäre ein großer Vorteil, denn an diesem Tag wurde das berühmte “Radiogramme de la Victoire” verschickt, das in der Literatur beschrieben wird und dessen Schlüssel bekannt ist.
- Painvin hat im Notizbuch die Transpositionsspalten der Nachrichten markiert und mit den Zahlen von 1 bis 21 beschriftet. Folglich scheint er eine Schlüssellänge von 21 angenommen zu haben. Auch das besagte “Radiogramme de la Victoire” vom 1.6.1918 hat einen 21-stelligen Transpositionsschlüssel.
Damit hatte Norbert Biermann einige Indizien beisammen, die darauf hindeuteten, dass das Kryptogramm mit dem “Radiogramme de la Victoire”-Schlüssel vom 1.6.1918 chiffriert wurde. Das Dumme war nur: Beim Entschlüsseln mithilfe der Website http://www.dcode.fr/adfgvx-cipher kam nur Buchstabensalat heraus.
An diesem Punkt beschloss Norbert Biermann, zweigleisig fortzufahren: Einerseits versuchte er, per Bibliotheks-Recherche herauszufinden, ob jemals noch weitere Originalschlüssel von 1918 publiziert wurden. Andererseits begann er, ein Programm zu entwickeln, mit dessen Hilfe er versuchen wollte, die Nachricht zu knacken (dabei sollten die weiteren ADFGVX-Nachrichten aus dem Buch helfen, auch wenn diese nur unvollständig abgebildet waren).
Beim Ausführen des Programms fiel ihm auf, dass dieses andere Ergebnisse als die Web-Seite lieferte – letztere arbeitete anscheinend nicht korrekt.
Außerdem zeigte sich: Mit Biermanns eigenen Programm und dem “Radiogramme de la Victoire”-Schlüssel kam ein sinnvoller Text heraus: GRUPPE X LAGE UNVERANDERT 6 X B X R X D. Damit war das Rätsel gelöst.
“Vertraue keinem Programm, das du nicht selbst geschrieben hast ;-)”, lautet Norbert Biermanns Fazit.
Norbert Biermann bezeichnet sich als interessierter Laie auf dem Gebiet der Kryptologie. Hauptberuflich arbeitet er als Pianist und Hochschulprofessor. In Klausis Krypto Kolumne hat er schon so manchen interessanten Kommentar abgegeben. Dazu gehört beispielsweise sein Lösungsvorschlag zum Augusti-Kryptogramm, der auf viele in der Staatsbibliothek Berlin verbrachte Stunden zurückgeht. Auch nach meinem vorgestrigen Blog-Artikel (über die Verschlüsselungen von Lavater) musste ich nicht lange auf die Lösung warten – Norbert Biermann fand sie innerhalb von Stunden.
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Zum Weiterlesen: Wer löst den Geheimcode eines Tresorknackers?